„Im übrigen suchen alle marginalen und subkulturellen Gruppen dort genau dies: eine leere Extase, eine Parasitenexistenz. Selbst wenn diese Orte für die Kultur bestimmt sind, sind es keine Orte des Glanzes mehr, sondern Orte der Absorption und der Entleerung, der Flüssigkeitsumwandlung, Input-Output-Maschinen.“
Der Kontext dieses Zitates ist jetzt mal egal. Das Wort hat mich damals sofort gefangen und ich habe mir die Frage gestellt: Warum finden die meisten Menschen Parasiten eklig und wollen nichts mit ihnen zu tun haben? Warum ist der Begriff so negativ besetzt? Parasiten gelten als Schmarotzer, Schädlinge, Gesindel, Nichtsnutze, Aussätzige, Asoziale, Abweichler und so weiter. Sie fristen eine Randexistenz jenseits der gesellschaftlichen Grenze des Guten. So zumindest die landläufige Meinung. Keiner würde sich selbst als Parasit bezeichnen. Das sind immer die anderen. Verstehe ich nicht, ehrlich. Wir sind nicht nur Opfer, d.h. Wirte, die befallen und ausgesaugt werden. Wir hauen unsere Beißwerkzeuge in andere und saugen sie aus. Die Anderen sind in dem Fall der Wirt, der uns als Lebensgrundlage dient. Und umgehkehrt dienen wir anderen als Nahrungsquelle. Ist das schlimm, oder ist das normal?
Ich plädiere daher für eine Neudefinition des Parasiten als kreativem Geist, der Altes neu kombiniert und mit seiner Handschrift versieht. Parasit ist jeder. Es gibt keine Kreativität ohne Parasitismus. Warum also nicht ganz offensiv eine solche Lebensweise vertreten? Parasieren bedeutet zwar im engeren Wortsinn „stehlen“, heißt aber eigentlich: Die vorhandenen Gegebenheiten und Gegenstände produktiv für seine Zwecke nutzen – durch Rekombination von Existierendem. Wenn Elemente aus einem Kontext heraus gelöst und in einen anderen eingefügt werden, erhalten sie eine neue Bedeutung: etwas, was vorher eben noch nicht da war. Alle schaffenden Menschen nutzen vorhandene Objekte für ihre Zwecke und rekontextualisieren: Was hat das mit einem „Schädlingsdasein“ zu tun? Ich würde eher sagen, dass es eine notwendige Bedingung für Fortschritt ist. Und was der gute Herr Baudrillard mit „Input-Output-Maschinen“ beschrieben hat, wird in diesem Zusammenhang recht deutlich. Wir nehmen etwas auf (Input/ Import/ Absorption), verarbeiten es (Transformation), bringen es anschließend wieder in die Welt hinaus (Output/ Export) und hoffen auf ein (digitales) Schulterklopfen. In diesem Moment wird das „Neue“ wieder offen für andere Parasiten, die sich an ihm laben und es in ihre Verarbeitungsmaschine importieren. Aber wichtig ist eben der mittlere Schritt: die Transformation. Sonst bleibt das Ausgespuckte nur eine verzichtbare, billige Kopiekopie eines verzichtbaren, billigen Selbstdarstellerdarstellers.
Immer schon ist der Mensch parasitär veranlagt. Wer möchte denn das vielzitierte Rad stetig neu erfinden? In unserem Schädelkino läuft oft noch der Film vom schöpferischen Genie, das aus dem Nichts etwas Neues erschafft. Sorry, das ist nicht so. in einer positiven Redewendung heißt es immer, er/ sie habe sich von xy inspirieren lassen. Ist das etwas anderes als parasieren? Eine parasitäre Existenz ist die Grundlage allen Schaffens. Wer nur kopiert, ohne das Rohmaterial durch etwas Neues anzureichern, klickt bestimmt auch bei seinen eigenen Facebook-Posts auf „Gefällt mir!“ Wer aber kopiert und dabei ein neues Original herstellt, der hat mein „Like“ sicher. So, das musste mal raus. Aber das ist ja auch nicht wirklich neu. Zum Beweis dessen hier noch ein kleiner Text von Jim Jarmusch. In diesem Sinne: Klaut weiter und macht was draus!
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(c) Jim Jarmusch, 2004, Design: Mark Malazarte, 2009 |