Wer meint, glücklich zu sein, bekommt von mir persönlich die Kapitalismusverweigerungskasperkrone aufgesetzt. Glück ist die Erfüllung unser Wünsche – und die Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn wir nicht glücklich sind, wenn wir unerfüllte Sehnsüchte haben und damit die Hoffnung, dass irgendwer oder irgendwas in der Lage ist, diese Sehnsüchte zu befriedigen. Und danach kommen neue. Jeder Fortschritt basiert auf einem Mangel, auf einer Lücke, die es zu schließen gilt. Jeder Fortschritt basiert auf der Vision des Verbesserns.
Heute wissen wir zumindest theoretisch, dass Geld nicht alles und im Konsum kein Glück zu finden ist. Praktisch können wir dem nicht immer folgen. Dennoch spielt das Immaterielle eine größere Rolle: Ruhe, Zeit, Gemeinschaft, Gerechtigkeit oder Achtsamkeit werden wertvoller. Und genau in diesen Erkenntniswandel hinein entwickelt sich ein neuer Markt, der das Immaterielle wieder kommerzialisiert, der die Glückssuche wieder in Euro und Cent messbar macht. Neue Produkte und Dienstleistungen versprechen eine Steigerung unserer Lebensqualität. Klingt gut, klingt vielversprechend. Aber dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, ist ein Irrglaube. Für jedes Problem gibt es eine Perfektion. Das ist der Motor. Vierundzwanzigsieben. Das Phänomen der geplanten Obsoleszenz ist so gesehen die konsequente Antwort auf den infiniten Regress menschlicher (Konsum-)Wünsche.
Höre ich da aus der hinteren Reihe ein „Sorge Dich nicht, lebe“? Ich glaube, es hackt, aber gewaltig. Ich sorge mich, weil ich lebe, mein lieber Bedenkenverweigerer. Also bitte, Silencium, meine Damen und Herren, geißeln Sie mich nicht mit narkotisierenden Gefühlsduseleien.
Die Freiheit der Wahl ist zugleich die Tyrannei der Möglichkeiten. Überall lockt Glück und Wonne. Es liegt alles vor uns, wir müssen es nur ergreifen. Wer das nicht schafft, ist selbst Schuld. Der defizitäre Mensch ist Ursache und Ergebnis eines Wachstumsdenken, das Fortschritt immer nur im Wettbewerb definiert. Es gibt Studien, die zeigen, dass in den 1970er Jahren „nur“ jede vierte Frau mit ihrem eigenen Körper unzufrieden war. 40 Jahre später waren es bereits 68 Prozent. (Für die Männer habe ich keine Zahlen gefunden, aber ich unterstelle den metrosexuell gewaschenen Herren der Schöpfung mal eine ähnliche Eitelkeit.) Ich glaube nicht, dass diese Entwicklung ein Beleg dafür ist, dass wir alle hässlicher geworden sind. Vielmehr sorgt die Mediengesellschaft für ständige Selbstbeobachtung und befeuert ein neues Problembewusstsein auf vielen Ebenen – oder anders: weckt Wünsche und Sehnsüchte. Es geht schließlich immer noch besser, und nach dem Ideal ist zu streben. Dabei wird uns suggeriert, dass wir es schaffen können, wenn wir nur fest daran glauben.
Der Zwang zum positiven Denken ist ein Disziplinierungsmittel, um die Leute gefügig zu halten und ihnen einzureden, es sei ihr eigenes Problem, wenn sie es nicht schaffen. Wir haben die persönliche Schuld des Scheiterns vollständig verinnerlicht, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, andere dafür verantwortlich zu machen. Nicht nur die Pharmaindustrie freut das, hat sich doch die Anzahl der meistverschriebenen Antidepressiva in den letzten 10 Jahren vervierfacht. Wer nicht glücklich ist, der kommuniziert damit: „Ich habe es nicht geschafft. Ich bin ein Versager.“ Also laufen wir herum und sagen jedem, der uns fragt, dass es uns gut geht, bestens, alles in Ordnung. Auch wenn es im Innersten brodelt. Wir sind so erzogen worden, dass wir Niederlagen und Rückschläge zuerst als persönliche Fehler ansehen. Wer die Schuld von sich schiebt, sucht nur eine Ausrede für die eigene Unzulänglichkeit. Deswegen rackern wir uns ab, streben nach Besserem und Schönerem – für uns und vor allem für die Anerkennung, die wir zu bekommen hoffen. Die Zahl der Deprimierten und Ausgebrannten wird in dem Maße weiter ansteigen, in dem wir unseren Glücksquotienten kontinuierlich zu erhöhen suchen. Vor ein paar Jahren gab es mal einen Moment, wo ich geglaubt habe, die Ideologie des Perfekten sei vorüber. Aber mittlerweile hat sich selbst die Brigitte in ihrem Heft von den authentischen Alltagsmodels verabschiedet und setzt wieder auf digital bearbeitete Hochglanzprofis. „Die Normalen reißen´s eben nicht“, wie die TAZ treffend titelte.
Irgendwie sind die Möglichkeiten, die sich uns bieten, zu Pflichten geworden. Wie konnte das passieren? Dass aus Chancen Zwänge werden? Dass aus Motivation Druck wird? Dass aus Selbstverwirklichung Selbstdarstellung wird? Dass aus der Möglichkeit glücklich zu sein eine Glückspflicht wird?
Mit „Smile or die“ von Barbara Ehrenreich, Arnold Retzers Streitschrift gegen das positive Denken oder der Ermutigung zum Unglücklichsein von Wilhelm Schmid sind in der letzten Zeit Bücher auf den Markt gekommen, die sich diesem Zeitgeist widmen und die Glückstyrannei zu entlarven suchen. Auch das ist ein Markt, logischerweise. Ich habe diese Bücher nicht gelesen und werde das auch nicht tun, mir reicht die Schlagzeilenintelligenz, die ich durch das Überfliegen diverser Rezensionen bekomme, um mich in pro-pessimistische Wallung zu bringen. Die glücksfremden Deprimierten und sorgenvollen Bedenkenträger brauchen endlich den Raum und die Anerkennung, die sie verdienen, denn sie sind das Korrektiv zum statusstabilisierenden Hell-Yeah-Begeisterungswahn und dem, wie Arnold Retzer es in einem Interview in der brand eins nennt, „Terror des Sollens“ – dem zermürbenden Dauervergleich zwischen defizitärem Ich und utopischem Ideal, dem alle Glückssuchenden zum Opfer fallen.
Und was heißt das jetzt praktisch? Ich weiß es nicht, liebe Freunde, aber ich werde dieses Halbwissen aushalten. Mein Weg zum Glück, ihr versteht? Wer mehr über das theoretische Glück wissen möchte, schaut vielleicht mal bei gluecksforschung.org vorbei oder sucht sich im Glücksarchiv aus einer umfangreichen Publikationsliste das passende Buch für heller werdende Frühlingsabende. Ich bastele derweil an meinem griesgrämigen Gesicht, denn ich bin nicht eins mit der Welt und die Welt ist nicht eins mit mir. Meine Stirn ist kein glatter, ruhiger See, sondern die verschwurbelte Gischt der tosenden Übellaunigkeit. Damit die Welt ein Stückchen besser wird. In diesem Sinne: Lasst das Glück in Ruhe, ihr habt etwas Besseres verdient. Es wird schon gut gehen.