An der Losbude des Lebens ist das Reibungslos der Hauptgewinn. „War ja klar“, sagte Pichler und ließ die Niete zu Boden fallen. Schon die zweite hintereinander. Direkt zu Beginn. Das Erwartbare hat meistens immer noch Kraft genug, ordentlich zu enttäuschen. Zehn Lose sechs Euro, ein Schnäppchen mit Blick auf das, was möglich schien.
Dann folgten ein Zweifellos, noch eine Niete, ein Motivationslos, eine weitere Niete und ein Bedeutungslos. Letzteres brachte am wenigsten Punkte. Noch weniger hatte nur das Harmlos. Aber immerhin hatte Pichler jetzt schon so viele Punkte zusammen, dass er über die erste Reihe an Chinaplastikbilligkram hinwegsehen und preislich schon in die zweite Reihe blicken konnte. Zwar auch Chinaplastikbilligkram, jedoch eine Nummer größer. Da ging noch was. Jetzt noch ein Ziellos, und dann wäre der Blick auf die dritte Gewinn-Reihe in greifbarer Nähe. Oder eben direkt das Reibungslos.
Ein Luftballon flog vorbei, der leise ‚Hoppla‘ sagte. In der Nähe das Weinen eines Kindes.
„Komm schon!“ Pichler feuerte seine Finger an, die gerade das achte Los an der Perforationslinie aufrissen. Es war ein Achtlos. Wie lustig, dachte Pichler. Aber das war natürlich ironisch gemeint. Zwei noch. Zwei noch bis zum neuen Leben – oder bis zur kompletten Selbstaufgabe. Der Himmel war blau, und auch in Pichlers Kopf waren die Seufzer noch in weiter Ferne. Nummer neun: das Gedankenlos. Ein schweres Los, obwohl es vom Papiergewicht natürlich keinen Unterschied machte.
Pichler musste kurz über sich selbst lachen. „Wäre ja schon Ironie des Schicksals, wenn das letzte Los jetzt ein Endlos wäre“, sagte Pichler zu der Frau neben ihm, die verzweifelt versuchte, die Zuckerwatte vom Kleid ihrer Tochter fernzuhalten, während das Kind versuchte, die Lose zu öffnen. Aber die Frau sah ihn nur mitleidig an, als hätte er gerade ein Trostlos gezogen. Pichler schaute nach links, wo sich ein älterer Herr mit Hut gerade über sein Ahnungslos freute. Wenn der wüsste, dachte Pichler.
„Letztes Los“, sagte er halblaut, mit einem Hauch von Erwartung in der Stimme. Seine Hände zitterten etwas. Als würde all sein Wünschen in die Fingerspitzen fahren. „Reibungslos, komm jetzt!“
Ein Sonnenstrahl erwischte Pichlers Armbanduhr und prallte von dort direkt ins linke Auge. Kurz glänzte ein Hoffnungsschimmer in den schönsten Limitierungen. Eine Möwe zog durch den Himmel, der Auto-Scooter nebenan spielte „What is love?“, und die Ordnung der Dinge ist ein Gerücht, das sich gut verkauft.
„Erfolglos“, flüsterte Pichler enttäuscht. Die Hoffnung fiel aus dem Rahmen ihrer Möglichkeiten, die ersten Seufzer krochen aus ihren Verstecken. Pichler holte tief Luft und versuchte freundlich zu seiner Gegenwart zu bleiben. Dank seines Resilienzkurses von letzter Woche wusste er: man muss das Positive akzentuieren und das Negative eliminieren. Einatmen. Negativ: kein Hauptgewinn. Positiv: vergleichsweise wenige Nieten. Ausatmen. Negativ: die Punktzahl reichte nicht, um über den Chinaplastikbilligkleinkram hinauszukommen. Positiv: immerhin war es der etwas größere Chinaplastikbilligkram und nicht nur so kleine Chemieflummis oder biegbare Mini-Bleistifte. Ausatmen.
Es schien zu helfen. Pichler war so guter Dinge, dass man meinen könnte, er hätte ein Energielos gezogen. Er ging nach vorne, zu dem Mann mit Mikro und sonorer Stimme. Auf dem Boden alles voller Nieten. Es fühlte sich an wie fünf Meter Herbstspaziergang durch frisches Laub. Er reichte seine Lose an die für Gewinnübergaben verantwortliche Person. „Und? Was willste haben?“
Pichler wollte erst die Riesen-Wackelschlange nehmen, dieses aus vielen Gliedern bestehende, fast fünfzig Zentimeter lange Plastiktier, das sich schlängelt, wenn man es hinten am Schwanz anfasst. Ein farbenfrohes und spannendes Spielerlebnis für Kinder ab drei Jahren, ein Garant für stundenlangen Spaß und zugleich eine sensorische Stimulation für fantasievolles Spiel, das die Kreativität anregt. Pichler entschied sich für die Riesenseifenblasen. Perfekt für die nächsten Träume.